45 Jahre
unter anderem LKW-Fahrer
Mein Weg schien vorgezeichnet, als ich auf dem Tagesgymnasium eine Sechs in Latein hatte und trotz lauter Zweien in allen anderen Fächern sitzen geblieben bin. Dann folgte die erste Realschule, die ich als Niederlage erlebte, wo ich mich unterfordert fühlte. Von der bin ich geflogen und habe erst auf einer weiteren Realschule den mittleren Schulabschluss geschafft. Danach bin ich einige Jahre orientierungslos durchs Leben gestolpert, habe gejobbt ohne konkretes Ziel, ohne eine Ausbildung anzufangen. Ich wollte am liebsten studieren, hatte aber kein Abitur. Das hat mich gelähmt. Der nächste Irrweg war eine private Schauspielschule, auf der ich mein Glück versuchte. Die musste ich nach zwei Jahren aus finanziellen Gründen wieder abbrechen.
Dann habe ich den LKW-Führerschein gemacht und bei einer Spedition gejobbt, die ich übernehmen wollte, bis ein Bandscheibenvorfall auch dieses Ziel zunichtemachte. Erst da wurde mir klar, dass ich das Abitur machen muss, um weiterzukommen. Dafür kam nur der Vormittagsunterricht im KOOP in Frage, weil ich mittlerweile wieder in der Gastronomie arbeitete. Nachmittags musste ich mich um meinen damals 13-jährigen Stiefsohn kümmern, das Kind meiner Lebensgefährtin. Die Nachtarbeit in der Kneipe, die Familienaufgaben, morgens die Schule, das war zu viel. Kurz vor dem Abitur wurde ich ernsthaft krank und musste ein Urlaubssemester einlegen. Aber jetzt habe ich es geschafft. Was ich nun machen will? Germanistik, Latein, Philosophie oder Geschichte auf Lehramt studieren. Noch habe ich mich nicht endgültig entschieden, aber zwei dieser Fächer werden es. Auf jeden Fall möchte ich Lehrer in einer Schule des Zweiten Bildungsweges werden, der Einrichtung, die mir das Abitur ermöglicht hat. Da fühle ich mich am richtigen Platz.
Zeitgleich mit mir hat auch mein Stiefsohn das Abitur gemacht. Durch ihn fühlte ich mich angespornt, einen guten Abschluss zu machen. Ich wollte ihm ein Vorbild sein.
Wenn ich meine Schullaufbahn betrachte, mit all den Unsicherheiten und dem mangelnden Glauben an mich selbst, so möchte ich jedem zukünftigen Studierenden raten: zweifelt nicht so viel, macht das Abitur. Hier bekommt ihr viel Unterstützung. Fragt Euch aber auch, was Ihr mit dem Abitur anfangen wollt. Man braucht ein Ziel vor Augen. Mein Ziel zu studieren hat mich bei der Stange gehalten, wenn ich mal einen Durchhänger hatte. Die letzten drei Jahre haben auch meinen Charakter geschult. Es klingt paradox, aber ich musste erst noch einmal „Jugendlicher“ werden und den Reifeprozess an der Schule des Zweiten Bildungsweges durchlaufen, um erwachsen zu werden. Erst da bin ich richtig erwachsen geworden.
Ich habe im Kampfsport den Schwarzgurt, 2. Dahn. Als Kind habe ich gerne Filme mit Bruce Lee oder „Karate Kid“ gesehen und schon mit 8 Jahren angefangen zu trainieren. Später war ich fünf Mal in der Woche mit dem Kampfsport beschäftigt und habe dann selbst Kinder und Jugendliche trainiert.
Gebürtig bin ich aus Detmold, aufgewachsen in einer typischen Gastarbeiterfamilie aus Lippe, die erste, die das Abitur gemacht hat. Mein Vater arbeitet bis heute in einer Laminatfabrik und mein Großvater arbeitete in einem bekannten Unternehmen für landwirtschaftliche Maschinen. Ich sollte es leichter haben im Leben. Zuerst war ich auf der Realschule, dann ein Jahr auf dem Gymnasium, doch ich war zu jung und hatte nur Flausen im Kopf. So habe ich nach mehreren Schulabbrüchen entschieden, von zu Hause auszuziehen und bei einem Sicherheitsdienst zu arbeiten. Dort habe ich gut verdient, bis die Firma Insolvenz anmelden musste. Erst als ich meinen Job verloren hatte, konnte ich mich wieder auf die Schule konzentrieren, habe gegoogelt, wo man das Abitur nachmachen kann, und mich am Abendgymnasium Köln, Außenstelle Bergheim angemeldet. Die letzten drei Jahre habe ich kaum trainiert, weil ich abends immer in der Schule war.
Schule ist auch Kampf. Mit sich (manchmal), mit den Lehrern und dem Stoff. Jeden Tag hat man Unterricht, jeden Tag muss man Leistung zeigen. Nun hab ich es geschafft und kann meinen Traum verwirklichen, Jura zu studieren.
Ich bin dankbar dafür, dass ich eine zweite Chance bekommen habe. Mein Tipp an alle, die das Abitur noch vor sich haben: fleißig sein, am Ball bleiben, kämpfen. Es lohnt sich!