Marie K., Abitur 2023

Als ich 2014 von der Schule abging, hielt ich ein Abgangszeugnis mit einem Notenschnitt von 3,7 in der Hand und dachte: So. Das war es dann also. Ich bekam den Wisch ohne Feier oder Klatschen, geschweige denn mit viel Freude oder Stolz, vom Sekretariat, kurz nachdem ich verkündete, dass ich die Schule mit einer allgemeinen Fachhochschulreife abbrechen würde.

Der Grund war, dass ich keine Klassenräume mehr betreten konnte, ohne sofort in schreckliche Angstzustände zu geraten.

Damals wusste ich noch nicht, dass ich fast 9 Jahre später mein Abitur mit einem Notenschnitt von 1,2 nachholen würde.

Mein erster Bildungsweg war eine Katastrophe von Anfang bis Ende.
Bösartige Lehrer, ein toxisches Lernumfeld, keine Struktur oder Geduld mit den Schülern. Ich bin eine der unglücklichen, die noch G8 miterleben durfte. Für Wiederholungen war kaum Zeit, der Stoff von zwei Jahren wurde in ein Jahr zusammengequetscht. Wer nicht mithalten konnte, war auf sich alleingestellt. „Selber Schuld“, sagten die Lehrer. „Aus euch wird ja eh nichts werden.“

Es war kein Leben miteinander. Es war ein Überleben miteinander.

Dazu kamen noch, in meinen Fall, regelmäßiges Mobbing von Schülern und Lehrern. Verbale Schikanen waren an der Tagesordnung. Manchmal sogar physische Übergriffe. Ich erinnere mich nicht mehr an vieles, ich habe das meiste verdrängt. Ich erinnere mich aber an dem Tag, an den mein damaliger Deutschlehrer mir mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen hat, weil ich ein Wort falsch ausgesprochen hatte. Das war der Anfang des Ende für mich.

Der Stress, die Versagensangst, die feindselige Atmosphäre und die Unsicherheit führten zu einen nervlichen und psychischen Zusammenbruch – ich war gerade erst 16 Jahre alt.

Heute weiß ich, dass ich kein Einzelfall bin.

Vielen erging es wie mir, viele musste wegen ähnlichen Gründen die Schule verlassen. Zwar hat es fast 10 Jahre für mich gedauert bis ich wieder eine Schule betreten konnte, ohne Panikattacken erleiden zu müssen. Doch heute bin ich unglaublich froh, die Entscheidung getroffen zu haben, über den zweiten Bildungsweg mein Abitur doch noch zu machen

Nicht nur wurde ich mit Offenheit, Toleranz und Geduld von den Mitschülern am Abendgymnasium begrüßt, sondern auch von den Lehrern. Schnell vergaß ich meine Angst, Fragen zu stellen. Schnell vergaß ich meine Angst, meine Hand zu heben und offen zu sprechen. Schnell vergaß ich meine Angst vor Schule und Lehrern.

Ich hatte wieder Spaß an dem Unterricht, an dem Material, an den Hausaufgaben.

Jedes Mal, wenn ich an der Schule ankam, wusste ich, egal wie traurig oder schlechtgelaunt ich war, dass ich mit einem Lächeln auf dem Mund wieder nach Hause fahren würde.

Ich möchte, dass die Leute wissen, dass ein frühzeitiger Abgang von der Schule, aus welchen Gründen auch immer, nicht unbedingt das Ende der Welt sein muss. Man ist kein „Loser“ oder „Nichtsnutz“, nur weil der normale Bildungsweg nicht für jeden funktioniert hat. Es gibt immer Möglichkeiten. Es gibt immer eine zweite Chance.

Ich ging aus dem ersten Bildungsgang als eine der schlechtesten aus meiner Klasse.

Heute gehe ich aus dem zweiten Bildungsgang als eine der besten aus meinen Kurs.

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